Erzähl mal, wie es war

Biografiearbeit mit Demenzkranken

von Erik Schumann

Biografiearbeit mit Demenzkranken

Als betroffener Familienangehöriger ist es nicht immer leicht, der Demenz der Mutter oder des Vaters eine hilfreiche, vielleicht sogar heitere Seite abzugewinnen. Aber der Versuch lohnt sich, und zwar für beide Seiten. Denn wenn der Verstand nicht mehr ansprechbar ist, müssen die Gefühle sprechen. Und diese Sprache müssen Kinder und Eltern gleichermaßen sehr oft erst (wieder) lernen. Aber ich glaube, genau darin liegt die große Möglichkeit der Gespräche zwischen Eltern und Kind, die bald die letzten sind.

Aber was soll man sich noch erzählen? Ist nicht in der Familie schon über alles x-mal gesprochen worden? Ich weiß es von Kunden, ich weiß es aus eigener Erfahrung: Wer seinen Eltern wirklich einmal auf den Zahn fühlt, sich ernsthaft (!) Zeit nimmt und detailliert nachfragt, erfährt viel Neues aus vergangenen Tagen. An welche Gerüche aus deiner Kindheit erinnerst du dich gerne? Was mochtest du gar nicht essen? Welches Spiel hast du geliebt? Demenzkranke haben ein gutes Langzeitgedächtnis.

Aber sie leiden oft an Konzentrationsschwäche. Stundenlange Interviews sind ihnen ein Gräuel. Ein, zwei Fragen, vielleicht eine mehr, das war’s. Aber es ist ein Ansatz, sich den Eltern zu nähern und nicht nur über Belanglosigkeiten wie das Wetter zu schwadronieren. Es kann sich lohnen, mehr darüber zu erfahren, woher man kommt.

Es gibt nicht nur Bücher zum Thema Demenz, sondern auch Bücher für Demenzkranke, die ihnen vorgelesen werden. Bücher mit kurzen Geschichten, die zum Schmunzeln anregen, die vor allem aber Fragen folgen lassen: War es bei dir auch so? Ganz oft kommen auf diese Weise Dinge ans Tageslicht, die man den Eltern gar nicht zugetraut hätte. Und bisweilen schleicht sich der Gedanke ein: Ich kann immer noch von ihnen lernen.